Vorhang Auf | 06.01.2016

Vorhang Auf

Veranstaltung vom 06.01.2016

Es verspricht wieder ein gemütlicher Abend unter Freunden zu werden, wie so oft, wenn Elisabeth ("Babou") und Pierre ihre Clique zum Essen in die großbürgerliche Wohnung über den Dächern von Paris laden und dabei, Babous Kochkünste goutierend, gerne über Gott und die Welt abfrotzeln (Bühnenbild: Andreas Lemke). Doch diesmal scheint von Anfang an der berühmte Wurm drin zu sein.

Mit der tiefgründigen Komödie "Der Vorname" von Alexandre de la Patellière und Mathieu Delaporte stellte "Vorhang auf", das Ensemble der Seminarturnhalle, in einer rauschenden Premiere die jüngste Produktion unter der Regie von Sandra Müller vor, der sie wieder ganz eigene Akzente verpasste. Pierre, Professor für französische Literatur, "verlässt sich auf seine Frau wie der Alpinist auf das Steigeisen": Joachim Krüger, Neuzugang beim Ensemble, gibt einen vertrottelt wirkenden Salonmarxisten, der schnell angesäuert, wenn er aus seiner exclusiven Montaigne-Ecke geholt wird, gerne den Zeigefinger der Sprachgenauigkeit erhebt.
Simone Essig spielt in der Rolle der Gattin "Babou" lebhaft alle Facetten einer etwas gefrusteten und von der Ehe ermüdeten Gymnasiallehrerin aus – zwischen Kindern, Küche und Telefon immer bemüht um einen harmonischen Ton in der Runde.
Zu dieser gehören auch Posaunist Claude, der langjährige gemeinsame Freund (Silvester Keller als eher zurückhaltender Mensch mit Herz und sprichwörtlichem Sinn für leise Töne), "Babous" Bruder Vincent, Immobilenmakler und zynischer "Freibeuter des 21. Jahrhunderts", und dessen schwangere Lebensgefährtin Anna (Elisabeth Galonska sprang zur Premiere kurzfristig für ihre erkrankte Kollegin Elisabeth Held ein, um in der Rolle der werdenden Mutter überzeugend zu zeigen, wann sie die Krallen ausfahren muss – und kann!).
Während man mit dem Essen beginnt, sich dabei wie immer im Plauderton ironische Bälle zuwift, gibt Vincent schließlich den Vornamen des kommenden Kindes preis – Empörung pur. Die Diskussion um "erlaubte" oder "verbotene" Vornamen entzündet ein Feuerwerk an Meinungen, Schlagabtauschen, Mutmaßungen und Vorwürfen, unter denen das jahrzehntelange Freundschaftsgebilde erheblich zu wackeln beginnt.
Alte Geschichten kochen hoch, brisante Geheimnisse werden gelüftet, der Ton der political correctness entgleist nach und nach. Pierre attackiert mit der langatmigen Jugendgeschichte vom Hund "Mokka" seinen Schwager Vincent ("Er hat mir den Mord geklaut, um an seiner eigenen Legende zu stricken!"), während "Babou" ebenso mit ihrem Mann abrechnet, für den sie damals Promotion und berufliche Karriere opferte.
Mit Wortwitz und Situationskomik, die das lebendig mitgehende Publikum mit Szenenapplaus quittiert, schraubt sich die Zimmerschlacht nicht nur in verbale Abgründe, und so bleibt mancher Lacher auch im Halse stecken. Besonders beeindruckend bei dieser Aufführung ist die Dauerpräsenz von Thorsten Müller, der nicht nur den spöttischen Karrieristen Vincent "mit Schnute" mimt, sondern auch den "Kommentator" gibt, von der Technik in Lichtwechseln dargestellt.
"Vorhang auf!" zeigte in der aktuellen Produktion erneut, was dieses wundervolle Ensemble alle Jahre wieder leistet – das Premierenpublikum war hörbar hingerissen.